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Wiederaufbau im Ahrtal: „Angebote des Handwerks sind gut hinterlegt!“

Interview der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz mit Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz

Ralf Hellrich zusammen mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einem Vor-Ort-Termin nach der Flutkatastrophe im Ahrtal.

© HwK Koblenz. Ralf Hellrich zusammen mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einem Vor-Ort-Termin nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Das Handwerk übernimmt seitdem eine zentrale Aufgabe beim Wiederaufbau.

Seit der ersten Stunde nach der Naturkatastrophe sind die Handwerker im Ahrtal am Wiederaufbau beteiligt. Auch für Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, verging seitdem fast keine Woche, in der er nicht im Ahrtal unterwegs war. Was wurde geschafft, was ist noch zu tun?

Eine kurze Bilanz, wie läuft der Wiederaufbau aus Sicht des Handwerks?

Das Handwerk hat nach der Flutkatastrophe eine riesige Verantwortung übernommen – man muss sagen: übernehmen müssen! Denn wer sollte die fachlichen Probleme um zerstörte Versorgungsnetze sonst lösen, die Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten anstoßen und organisiert übernehmen? Das war eine bis dahin nicht gekannte Dimension und ich darf heute sagen: dieser Verantwortung ist das Handwerk gerecht geworden! Die ersten Schritte aus dieser Katastrophe und das, was folgte, sind aus Sicht des Handwerks gut gelaufen. Das lassen wir uns auch von Niemandem schlecht reden. Gleichwohl: fertig sind wir noch lange nicht und der Wiederaufbau wird dauern. Doch damit war zu rechnen, erinnern wir uns an das Schadensbild unmittelbar nach der Flut. Ich denke auch, in einigen Bereichen ist es besser und schneller gelaufen, als man zunächst annahm. Die Angebote des Handwerks stehen, sie sind qualitativ wie auch quantitativ gut hinterlegt. Was verbessert werden kann, ist die Bekanntheit dieser Angebote bei den Betroffenen. Hier haben wir trotz aller Öffentlichkeitsarbeit, aller Ansprache und Bemühungen dazu lernen müssen. Eine solche Krise setzt ein Umdenken bei den üblichen Kommunikationsformen voraus. Viele Betroffene waren nicht in der Lage, die zahlreichen Hilfsangebote in ihrem Sinne zu analysieren und anzufordern. Ich denke mit den heutigen Erfahrungen, dass wir in vergleichbaren Situationen ein vorbereitetes System anbieten müssen, über das Hilfe zentral organisiert und gesteuert wird. Angebote müssen zeitlich und inhaltlich so gegliedert werden, dass sie sich an den Erfordernissen und Bedürfnissen orientieren. Nach der Ahrflut gab es aus unserer Sicht zu viele ungesteuerte Informationen, Plattformen, Kanäle und Initiatoren, was eine Übersichtlichkeit eher erschwerte als konkrete Hilfe zielgenau zu vermitteln.

Was ist der größte Hemmschuh beim Wiederaufbau?

Wie gesagt: die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage ist verbesserungswürdig. Es ist nur schwer verständlich, wenn einerseits über unsere Internetplattform handwerk-baut-auf.de rund 1.800 Handwerksbetriebe aus ganz Deutschland ihre Leistungen anbieten, auf der anderen Seite Betroffene sagen, dass sie nach Wochen oder Monaten immer noch keine Handwerker finden konnten. Weil sie beispielsweise nicht wissen, dass es handwerk-baut-auf.de gibt. Und das, obwohl wir wirklich alle Kommunikations-Register gezogen haben, um diese Angebote bekannt zu machen. Doch Krisen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten – auch in der Frage von Wahrnehmungen. Daraus müssen alle Beteiligten lernen. 

Auch in der Frage einer Auftragsvergabe gilt das! Der vertraute Handwerksbetrieb von nebenan ist sicherlich der Wunschpartner beim Wiederaufbau, doch in vielen Fällen überlastet und selbst betroffen. Deshalb haben wir rechtssichere Lösungen angeboten, die eine Installation durch Betrieb A aus Köln oder München vorsieht und die anschließende Wartung durch Betrieb B aus der Ahr-Region. Eine Möglichkeit, die leider zu selten genutzt wurde.

Der Facharbeitermangel ist nicht nur ein Problem im Ahrtal. In welchen Gewerken gibt es den größten Bedarf?

Die Fachkräftesicherung ist das große Thema der deutschen Wirtschaft. Wenn dann eine Region, ein Projekt oder eine Situation die Konzentration von Fachkräften fordert, macht sich die angespannte Lage natürlich besonders stark bemerkbar. Insofern macht die Nachfrage auf den vielen Baustellen des Ahrtals das sichtbar, was als Fachkräftemangel ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Das gilt nicht für ein einzelnes Gewerk, sondern für die Wirtschaft als solches. Bei den Gewerken macht es sich natürlich dann besonders bemerkbar, wenn alle einen Fliesenleger, Heizungsbauer, Maler oder Dachdecker suchen. In diesen Situationen wird dann auch sehr deutlich, welchen Stellenwert das Handwerk für unser Leben hat. Mein klarer Apell kann also nur lauten, sich verstärkt mit dem Handwerk, seinen Berufen und interessanten Arbeitsbereichen vertraut zu machen. Das Jugendliche sich hier verwirklichen und am Ende des Tages sehen können, was sie geschafft haben, ist ein zusätzlicher Anreiz, ins Handwerk zu gehen!

Erfreulich ist an dieser Stelle das Interesse von Jugendlichen an einer handwerklichen Ausbildung in den Betrieben des Landeskreises Ahrweiler. Wir haben hier gegen den bundesweiten Trend Zuwachsraten, in diesem Jahr einen neuen Zehnjahresrekord bei der Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverhältnisse! Auch daraus lassen sich interessante Schlussfolgerungen ziehen. Die Jugend will helfen und sucht nach effektiven Wegen sich einzubringen. Das Handwerk bietet diese und wird entsprechend wahrgenommen. Wir wollen diese Erfahrung im Sinne der Fachkräftesicherung nun noch besser nutzen und haben mit der Landesregierung Projekte angestoßen, setzen diese auch bereits um, um noch mehr Jugendliche für das Handwerk und das Ahrtal zu gewinnen. Was wir hierbei gerade erleben, macht richtig Mut!

Was plant die Kammer für das kommende Jahr, wo kann man noch nachsteuern?

Wir arbeiten in zwei Schwerpunktbereichen und werden das 2023 intensivieren. Zum einen in der Beratung von betroffenen Handwerksbetrieben beim Wiederaufbau. Das schließt auch die Antragstellung der Wiederaufbauhilfen ein, die ja jüngst verlängert wurde bis 2026. Zum anderen in der Vermittlung von handwerklichen Leistungen an Flutbetroffene. Da wir inzwischen um die Stellen wissen, wo der Schuh drückt, können wir gezielter helfen, organisieren und beraten. Nach wie vor ist die Handwerkskammer organisatorisch wie auch personell umgegliedert im Sinne der Wiederaufbauhilfe. Auch unsere Jour-Fix-Runden, die verantwortliche des Krisenmanagements, der Versorgungsunternehmen, Hilfsorganisationen, der Landesregierung oder Kommunalpolitik und handwerklichen Organisationen an einen Tisch bringen, setzen wir je nach Bedarf und aktuellen Anforderungen fort. Wir haben hier – vielleicht etwas jenseits der öffentlichen Wahrnehmung – viel erreichen können. Kurt Krautscheid als Präsident der Handwerkskammer Koblenz und ich als Hauptgeschäftsführer haben uns hier auch persönlich sehr stark eingebracht. Wir haben es gern getan und werden auch weiterhin für unsere Betriebe direkte Ansprechpartner sein. Denn wenn es bei denen gut läuft, läuft es auch beim Wiederaufbau im Tal besser.

Die Handwerkskammer steht aber auch bei Konflikten zwischen Handwerkern und ihren Kunden mit der Vermittlungsstelle zur Verfügung, denn nicht immer haben beide Seiten die gleichen Vorstellungen und Kommunikation ist ein wichtiger Baustein, insbesondere dann, wenn es schnell gehen muss. Die Vermittlung ist ein für beide Seiten gebührenfreies Serviceangebot. Hier greift das Angebot von qualifizierten Handwerkern über handwerk-baut-auf.de mit einer falls notwendig rechtlichen Hilfestellung eng ineinander. Außerdem informiert die Handwerkskammer in regelmäßigen Veranstaltungen zu rechtlichen Themen rund um den Bau, unter anderem gemeinsam mit ISB, Rechtsanwaltskammer, Architektenkammer, Kreisverwaltung und der ADD im Rahmen des Informationsbündnisses Wiederaufbau. Hier ist beispielsweise auch eine Veranstaltung mit der SGD Nord zum Bauen in Hochwassergebieten geplant. Diese enge Vernetzung mit vielen wichtigen Partnern ist für die Handwerkskammer auch weiterhin eine wichtige Basis für die Unterstützungsleistungen. 

Viele Betriebe waren selbst betroffen, wie weit sind sie mit dem Wiederaufbau? Und wie unterstützt ihr die Betriebe beim Stellen der Anträge auf Wiederaufbau?

Rund 600 Handwerksbetriebe liegen im Flutgebiet. Viele erlitten Totalschäden. Der Spagat aus betrieblichem und privatem Wiederaufbau war natürlich ein Problem, denn auch viele Mitarbeiter in den Handwerksunternehmen waren betroffen. Das musste alles unter einen Hut gebracht werden und wir haben auch festgestellt, dass viele Unternehmen ihre Kundschaft erstrangig versorgt haben und eigene Bedürfnisse hintenanstellten. Was Folgen hatte und hat, denn viele Anträge auf Wiederaufbauhilfe sind noch immer nicht gestellt. Auch hier haben wir unsere Beratung entsprechend geschult und helfen beim Verfahren. Das sind Aufgaben, die normalerweise nicht durch eine Handwerkskammer erledigt werden. Doch wer will in dieser Situation Grenzen ziehen? Wichtig war und ist uns, den Betrieben effektiv zu helfen. Das schließt auch die klare Botschaft ein: Wir sind für euch da! Das hat uns zusammengeschweißt und das Verhältnis zwischen Kammer und Ahr-Handwerk sehr positiv geprägt. Wenn wir dieser Katastrophe mit all ihrem Leid und Zerstörung etwas Gutes zuordnen können, ist es das Zusammenrücken der Handwerkerfamilie und die gemeinsame Arbeit mit vielen Partnern mit einem konkreten Ziel: der Wiederaufbau soll vollständig und für alle zufriedenstellend gelingen!